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30. September 2020

Mein Blick auf Amerika

im Wandel der Zeit

Von In Kein Buch

In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch fand in den USA das erste TV-Duell zwischen Amtsinhaber Donald Trump und Herausforder Joe Biden statt. Ein Duell, dass, so viel kann man sagen, kein gutes Licht auf die amerikanische Debattenkultur warf und unter anderem als „The Great American Shitshow“ bezeichnet wurde. Ich will das Duell allerdings als Gelegenheit nutzen um über meine Ansichten und mein persönliches Verhältnis zu Amerika zu reflektieren.

Wie die meisten meiner Generation bestand mein erster Eindruck von Amerika aus Filmen und TV-Serien. Ich lachte über ALF und sein anarchisches Verhalten, das Hausvater Willi regelmäßig zur Verzweiflung brachte. Ich fieberte beim A-Team mit, das durch Amerika fuhr und überall dort half, wo kleine Farmer oder Tante-Emma-Läden von skrupellosen Geschäftsleuten bedroht wurden. Staunte am Ende immer wie sie – mit viel Erfindungsgeist – ein gepanzertes Fahrzeug bauten und mit noch mehr Maschinengewehrfeuer die Bösewichte dazu brachten sich zu ergeben. Nicht zu vergessen gab es auch noch Michael Knight, den Knight Rider, mit seinem sprechenden Auto K.I.T.T., die stets im Auftrag der Foundation für Recht und Verfassung durch Amerika fuhren, bzw. im Kampf gegen Bösewichte auch gerne stattdessen mal über diese sprangen.

Diese Serien ließen mich über Amerika staunen. Wie cool war es da drüben bitte? Was für Abenteuer kann man da erleben? Vor allem im Gegensatz zum eher drögen zuhause. Wir hatten hier die eher langweilige TKKG-Viererbande, aber da drüben lebten die fucking drei Fragezeichen und die kannten den berühmten Alfred Hitchcock persönlich und das musste ja stimmen, denn sein Gesicht war auf den Büchern zu sehen! Außerdem waren ihre Fälle viel spannender, aber das ist ein anderes Thema.

Hin und wieder gab es mal Momente die mich verwirrt zurückließen. Warum musste bei Alf Lynn sich Gedanken über die Finanzierung des Colleges machen? Zigtausende Dollar müssten dafür gespart werden, aber Alfs kostete die Tanners so viel Geld, dass ihre Pläne in Gefahr waren. Natürlich hatte Alf direkt eine Lösung parat, genauso wie er ihr einmal einen Sportwagen kaufte, den er mit der aus seinem Raumschiff ausgebauten Toilette aus Platin finanziert hatte. Das war auch so ein Punkt, Autofahren dürfen mit 16! Was für ein tolles Land.

Aber dann gab es auch die Episode der Simpsons in der Lisa eine Zahnspange bekommen sollte, aber Homers Krankenversicherung würde die nicht übernehmen. Warum sollte sie das nicht machen? Meine Zahnspange war doch auch kein Problem gewesen. Wir hatten auch nie Angst zum Arzt gehen zu müssen. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, habe es aber auch nie mit anderen diskutiert, sondern einfach hingenommen. Amerika war ja toll. Toll, aber teilweise echt merkwürdig.

In der Schule wurde auch wenig über Amerika geredet. Ich meine in der 7. Klasse zog eines der Mädchen, die man in der Englisch-Lernbuchreihe Green Line begleitet hat, von England nach Oklahoma. Warum gerade dahin? Ich weiß es nicht, aber es gab definitiv coolere Orte in Amerika, aber so lernte man wenigstens auch auf diese Weise im Englisch-Unterricht ein wenig die Sprachunterschiede und Kultur kennen.

Erste Zweifel

Dann kam 1991 der Golfkrieg. Der Irak annektierte Kuwait und eine von den USA angeführte Koalition schritt ein. Wir demonstrierten gegen diesen Krieg und gegen eine Beteiligung Deutschlands in ihm. Ich erinnere mich noch an die Plakate die wir malten. Ich meine, wir malten die sogar passenderweise während des Kunstunterrichts, der am selben Tag stattfand. Natürlich fand die Demonstration auch während der Schulzeit statt, natürlich offiziell unerlaubter Weise. Inoffiziell aber geduldet, denn es gab keinerlei Konsequenzen.

Unsere Demo hatte logischerweise keine Auswirkungen und die Kampfhandlungen fanden statt. Alle Verhandlungen waren gescheitert und wir hatten den Eindruck es wurde sich von Seiten Amerikas nicht genug bemüht, sondern, in der Überzeugung der eigenen militärischen Übermacht, nur pro forma verhandelt. Natürlich war Amerika vollkommen überlegen und der Krieg dauerte nicht lange. Ich bin mir nicht sicher, ob es während dieses Konflikts oder während des Jahre später folgenden Angriffs auf den Irak passierte, aber ich erinnere mich an eine RTL-Nachrichtensondersendung. In dieser, live während des Ablaufs des amerikanischen Ultimatums ausgestrahlten Sendung, der RTL-Anchorman Peter Kloeppel auf Bildschirme mit grünen Nachtbildaufnahmen von Bagdad schaute und geradezu sehnsüchtig und zunehmend verzweifelt die ersten eintreffenden amerikanischen Raketen herbeizureden versuchte. Es war widerlich anzusehen und mein Verhältnis zu Amerika bekam erste Risse.

Nette Amerikaner?

Wieder ein paar Jahre später war es dann allerdings soweit, ich lernte meine ersten leibhaftigen Amerikaner kennen! Aber was soll ich sagen, die waren alle nett. Ohne Ausnahme. Wir kennen sicher alle die Klischees, Amerikaner sind eher oberflächlich und nicht gerade die hellsten. Zugegeben, das zweite traf auf Joseph (Joe)  zu. Joe war ein in Deutschland stationierter amerikanischer Soldat und was mir bis heute an Joe vor allem im Gedächtnis blieb war: Joe hatte immer Kautabak im Mund. Das ist erstmal nicht schlimm. Ich kannte das ja von den Western in denen die Cowboys den auch dauernd kauten und dann in die Spuckeimer im Salon spukten. Aber wo ich Joe traf gab es keine Spuckeimer. Stattdessen hatte Joe immer eine leere Dose Cola dabei in die er regelmäßig reinspuckte. Es war ekelhaft. Ich weiß übrigens bis heute nicht, ob seine Aussage wahr war, dass in seinem Kautabak feine Glasfasern enthalten waren, damit das den Mundraum etwas anritze und so das Nikotin schneller in die Blutbahn gelangen konnte.

Aber er war ein netter Kerl. Echt nett. Seine Kollegen übrigens auch. Da war keiner dabei den ich als Arschloch oder kriegslüstern bezeichnen würde. Ganz anders, als ich in der Schulzeit teilweise gedacht habe, wie alle amerikanischen Soldaten seien. Ganz im Gegenteil, alle waren extrem pflichtbewusst, überkorrekt was ihre Arbeit anging und was waren die fit! Jedenfalls die meisten. Statt eine 30km-Marschstrecke mit Gepäck auf Zeit zu gehen, liefen sie diese einfach in fast einem Stück durch. Beeindruckend. Sie waren allerdings auch Soldaten und es gab Gerüchte, dass sie keine Skrupel hätten abzudrücken, wenn sie sich bedroht fühlten. Im Dienst liefen die auch alle mit einer Handwaffe rum – jedenfalls da, wo ich sie sah. Zum Glück kam es nie dazu.

Es gab aber auch andere Amerikaner. Klügere und weiblichere, aber genausowelche mit denen man extrem gut auskam und eine lustige, interessante Zeit haben konnte. Zum Beispiel Judith, die ich damals in München kennenlernen durfte. Judith sprach nahezu perfektes Deutsch (soviel dazu, dass Amis keine Fremdsprachen lernen würden) war Lehrerin an einer Montessori-Schule und einer der fröhlichsten Menschen, die ich kennenlernen durfte. Nicht aufgesetzt fröhlich oder oberflächlich fröhlich, sondern gut drauf, an allem interressiert und man konnte mit ihr über alle möglichen Sachen sprechen. Sie hatte auch schon in verschiedenen Ländern als Lehrerin gearbeitet. War evtl. Teil dieses Montessori-Konzepts. Ich frage mich, was sie heute macht. Jedenfalls merkte ich: Klischees über Amerikaner können stimmen, tun sie aber die meiste Zeit nicht.

Der Wendepunkt

Ich hatte also ein noch immer relativ positives Bild von Amerika. Amerikaner an sich waren nett, die Politik eher nicht, aber Bill Clinton war ja Präsident und der spielte immerhin Saxophon. Dann kam George W. Bush und man konnte es nicht glauben. Wie konnte dieser Mann Präsident werden? Ein Mann der von außen betrachtet für dieses Amt nicht gemacht zu sein schien. Die Farce um die Wahlstimmenauszählung, die letztendlich über Gerichte entschieden wurden, konnte ich nicht wahrhaben. Das hatte doch mit Amerika nichts zu tun, aber na gut, amerikanische Politik war auch immer Unterhaltung. George W. Bush hatte aber „Glück„, Terroristen ließen am 9. September 2001 Flugzeuge unter anderem ins World Trade Center stürzen. Die Welt war im Schock und, ja auch ich weiß noch wo ich war und was ich machte, als das an diesem Tag passierte. Aber ich weiß auch noch: Ich trauerte mit Amerika.

Natürlich musste es für die Anschläge einen Schuldigen geben. Dieser wurde schnell gefunden und der Irak wurde erneut bombadiert und besetzt. Sadam Hussein abgesetzt, eingesperrt und später hingerichtet. Afghanistan angegriffen und unter blutigen Verlusten wurde noch jahrelang versucht die radikal-islamischen al-Qaida-Kämpfer auszurotten. Umsonst wie wir heute wissen, es gibt sie weiterhin. Die Frage war aber damals und heute noch viel mehr, warum diese Angriffe überhaupt erfolgten. Die Beweise waren nachweislich gefälscht. Der Irak besaß nie die von der damaligen amerikanischen Regierung behaupteten Massenvernichtungswaffen. Die späteren al-Qaida-Terroristen, die in Afghanistan bekämpft werden sollten, wurden durch Amerika selbst in der Vergangenheit finanziert und mit Waffen ausgestattet. Amerika hatte gelogen. Man wusste nicht warum, aber all das war nicht richtig. Es schien mehr um blinde Rache und wirtschaftliche Interessen zu gehen, als um Fakten und wahre Aufarbeitung des Geschehenen. Amerika war für mich kein schöner Ort mehr.

Als Barack Obama schließlich Präsident wurde wurde mein Bild wieder besser, aber im Großen und Ganzen war mir Amerika egal. Es hatte keinen Einfluss auf mein Leben. Ich konsumierte weiter amerikanische Serien und Spielfilme, wunderte mich über Eigenheiten, aber für meine Meinung hatte es so gut wie keine Konsequenzen. Bis Donald Trump die politische Bühne betrat. Er trollte, er pöbelte und mit jedem Tag zeigte er mehr, warum er sich nicht für das Amt des amerikanischen Präsidenten eignete. Aber er gewann dennoch und nicht nur ich konnte es nicht glauben. Was für Menschen können diesen Mann wählen? Was für ein Wahlsystem kann zulassen, dass Kandidaten mit deutlich mehr Stimmen am Ende verlieren? Es war mir unbegreiflich und Donald Trump tat sein Möglichstes um mein Bild von Amerika nahezu täglich zu verschlimmern. Denn er war ja nicht alleine. Es gab genug die ihm folgten und es genauso sahen. Kluge Menschen, ja ganze TV-Sender verbreiteten sein Tiraden und verteidigten sein Lügen, seine Xenophobie. Ich sah immer mehr Negatives in Amerika und seinen Menschen.

Jetzt

Und dann kam COVID-19 und die aktuelle Coronakrise. Wie im Zeitraffer wurden in den letzten Monaten Amerikas Schwachstellen aufgezeigt. Millionen haben ihre Jobs verloren und damit auch ihre Krankenversicherung (wenn sie denn je eine gehabt hatten). Viele dazu ihre Wohnungen, da sie die Mieten nicht mehr zahlen konnten. All die sozialen Sicherungssysteme, die ich immer für selbstverständlich erachtet habe, sind dort inexistent. (Sterbens-)Kranke starten schon seit Jahren Spendenaktionen auf Seiten wie Gofundme, damit sie ihre lebensrettenden Operationen bezahlen können. Oft ist es für schwer Kranke die bessere Alternative einfach zu sterben, als sich behandeln zu lassen und weiterzuleben, als später sich und ihren Verwandten die extrem hohen Krankenhauskosten aufzubürden. Es gibt die für mich schockierende Aussage, dass viele Amerikaner nur einen Arztbesuch oder Jobverlust von der nahezu sofortigen Obdachlosigkeit entfernt sind. Des Weiteren die Debatten über Rassismus und Polizeigewalt. Es sind zu viele Dinge, um sie alle aufzuzählen. Wobei ich mir dabei vorkomme, wie die besserwisserischen Deutschen in dieser Simpsons-Folge.

Was mich aber schockiert ist die ganze Ignoranz. Fakten werden übelst zurechtgebogen oder ignoriert. Manchmal kommt es mir so vor man wolle man lieber aktiv einer notleidenden Person helfen und ihr, bildlich gesprochen, Geld auf der Straße zustecken, als etwas an den Ursachen ihres Leids zu ändern. Nur damit man sich selbst gut fühlen und sagen kann: „Ich habe geholfen. Ich bin ein guter Mensch.“

Es gibt viele gute Menschen in Amerika. Viele wollen etwas ändern. Viele sind aber zufrieden mit ihrer Situation und verhindern jede Veränderung.

Ich weiß nur eines: In meinem Leben habe ich über Amerika vieles gedacht. Ich habe es bewundert, ich habe es verachtet, ich habe mit ihm getrauert, ich war mit ihm befreundet. Aber ich hätte nie gedacht, dass es einmal dazu kommen würde, dass ich für Amerika und seine Bevölkerung nur noch eines empfinde: Mitleid und Bedauern.

Anmerkung

Ich bin mir darüber im Klaren, dass gerade die letzten Absätze ziemlich selbstgerecht und bevormundend aufgefasst werden können. Viele Dinge die ich anspreche sind integraler Bestandteil des dortigen Wirtschaftssystems und der (Arbeits-)Kultur. Was aber nicht heißen muss, dass es gut ist oder je war. Alles hat seine Vorteil und seine Nachteile. Jedoch scheinen die Nachteile, gerade in den letzten Jahren, nur noch die zu treffen, die eh wenig und nun noch weniger haben. Amerika war und ist ein wichtiger Partner für Deutschland und Europa. Aber er ist zu einem geworden auf den man sich im jetzigen Zustand nicht mehr verlassen kann, der zunehmend egoistischer agiert, bzw. dessen Vorteile nicht mehr die Vorteile auch anderer Staaten sind. Amerika scheint nicht mehr annähernd gerecht zu sein. Nicht für andere, aber vor allem nicht mehr für die eigenen Menschen.

Geschrieben von Holger

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 30. September 2020 in Kein Buch und verschlagwortet mit .
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